"Die Spur des Patriarchen" ist schwere Lektüre, sie leidet unter der Leidenschaftslosigkeit, mit der ein eigentlich begnadeter GeschichtenerzÙ†hler die betrachtet, von denen er abstammt. Vielleicht auch unter der Distanziertheit eines Autors, der eigentlich keiner Gemeinschaft angehÙren mÙchte.
"Ich schaffe es einfach nicht, eine Gesellschaft zu betrachten mit ihren Kungeleien, ihren Spielen, ihren faulen Kompromissen und dann zu sagen: Was ist schon dabei? So sind die Leute eben! Nein, ich kann das nicht akzeptieren", bekennt der 56-JÙ†hrige. "Also habe ich immer den Hang dazu, lieber auÙƒerhalb zu bleiben. Das ist kein schÙnes Gefühl. Es schmerzt.
"Manchmal habe ich den Wunsch, mich eins zu fühlen mit der Mehrheit, ich habe Lust, mittendrin zu sein. Aber ich weiك, dass es so einen Moment für mich nie geben wird. Also bleibe ich ein Fremder - überall - in Europa, und wenn ich zurückkehren würde in den Libanon, wنre ich dort ebenfalls ein Fremder.
"Ich versuche damit klarzukommen, indem ich mir sage: Wir leben in einer Welt, in der jeder Mensch sich letztlich als Fremder fühlt, als AngehÙriger seiner eigenen MinoritÙ†t. Und einer, der beschlieÙƒt, als Schriftsteller zu leben, ist allemal auÙƒen vor. Deshalb ist die Literatur heute für mich eigentlich die einzige Heimat, die ich habe."
Graben zwischen den Kulturen
Amin Maalouf war Chefredakteur der libanesischen Wochenzeitschrift Al-Nahar International sowie des Magazins Jeune Afrique; wÙ†hrend des Vietnamkriegs und der Islamischen Revolution arbeitete er als Kriegsbericht-erstatter.
Amin Maalouf gilt hierzulande als anerkannter Spezialist für Fragen der arabischen Welt und der Beziehungen zwischen Okzident und dem Nahen Osten. Die seit mehr als zehn Tage andauernden Krawalle junger Maghrebiner in franzÙsischen VorstÙ†dten sind seiner Meinung nach eine Folge des sich stÙ†ndig vertiefenden Grabens zwischen den Kulturen.
Gemeint ist die Kluft zwischen denen, die eine Chance haben und denen, die sich auf dem Abstellgleis der Gesellschaft sehen. Jeder Dritte in den franzÙsischen VorstÙ†dten unter 25 ist ohne Arbeit.
Aber - so Maalouf - es gibt auch eine global antiwestliche Dimension der Krawalle. Und schlieÙƒlich wird der Graben zwischen den Kulturen dadurch zementiert, dass man nicht mehr miteinander redet.
Die Hoffnung des Westens, es mÙge endlich ein Zeitalter der AufklÙ†rung über die muslimische Welt kommen und den Menschen Lust auf Modernisierung und Demokratie machen, wird von vielen lange schon vergeblich gehegt. Briefe Maaloufs UrgroÙƒvaters Botros, geschrieben Ende des 19. Jahrhunderts zeugen davon:
Opposition gegen den Westen
"Mein Groكvater hatte eine نhnliche Einstellung wie Atatürk: Man muss nur die Leute ein wenig anstoكen, die Gesetze verbessern und dann wird die Modernisierung schon automatisch kommen. Sie ist aber nicht gekommen. Denn man hat den Graben unterschنtzt, der sich zwischen Orient und Okzident aufgetan hatte.
"Hinzu kommt auch, dass sich in einer gewissen ؤra die arabisch-islamischen Eliten sehr von dem sowjetischen Gesellschaftsmodell angezogen fühlten. Nicht, weil sie deren Ideologie so umwerfend gefunden hنtten, sondern aus Opposition zu den Kolonisatoren. Sie versuchten, ihre Rechnung mit dem Westen auf diese Art und Weise zu begleichen.
"Letztendlich sind diese Eliten von Marokko bis Indonesien, die eine weltliche Gesellschaft wollten, allesamt in die Falle des Kommunismus getappt. Heute ist das sowjetische Regime verschwunden und die mit ihm verbundenen Modernisierungseliten der arabisch-muslimischen Welt ebenfalls. Und was ist an deren Stelle gerückt? Die Islamisten."
Die Idee, er - als ein Symbol für gelungene Integration - kÙnne vielleicht auf die eine oder andere Weise als Vermittler zwischen den Fronten wirken, quittiert Amin Maalouf mit erstauntem Lachen. Seine Aufgabe sei es, zu denken und zu erzÙ†hlen. Für einen Kampf mit der entfesselten Wirklichkeit sei er nicht geeignet.
Brigitte Neuman
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2005
Amin Maalouf: Die Spur des Patriarchen - Geschichte einer Familie, aus dem FranzÙsischen von Ina Kronenberger, 475 Seiten, Insel Verlag, 24.80 Euro
Amin Maalouf hat bisher sieben Romane verÙffentlicht, seine Werke sind in etwa fünfundzwanzig Sprachen übersetzt. Sein erstes Buch, "Die Kreuzzüge aus der Sicht der Araber", erschienen 1983, ist zu einem Standardwerk geworden. Für "Der Felsen des Tanios" hat er den Prix Goncourt erhalten. Für "Die Spur des Patriarchen" erhielt Amin Maalouf den Prix Méditerranée.